Keule weglegen, die Schubladen schließen und zuhören

DIE LINKE. Fraktion im Rat der Stadt Minden nimmt Stellung zum Krieg in Israel und Gaza und fordert die Stadtgesellschaft auf Verantwortung zu übernehmen.

Anlässlich der Bürgeranfrage eines ehemaligen AFD-Stadtrates, in der er die Bedrohung jüdischer Einrichtungen in Deutschland heuchlerisch nutze um Stimmung gegen Menschen islamischen Glaubens zu machen, verlaß unsere Stadtverordnete Gesine Frank folgende Stellungnahme in der Stadtverordnetenversammlung am 26.10.23:

 

Herr Bürgermeister, meine Damen und Herren,

Manchmal könnte man wirklich an der Menschheit verzweifeln. Die brutale Eskalation der Gewalt in Israel und Palästina ist erschütternd und macht mich in ihrem ganzen Ausmaß fassungslos.

Wie gerne würde ich die Welt anhalten, innehalten und die durch das Massaker der Hamas entstandene komplexe Situation sortieren. Wie groß ist mein Bedürfnis, den vielfältigen Gefühlen Raum zu geben.

Aber die Zeit steht nicht still. Die Gewaltspirale geht weiter und erzeugt neues Leid. Und hier bei uns in Deutschland erlebe ich wie so oft, wie jemensch gefühlt sekundenschnell eine Meinung hat. Schubladen gehen auf, verbale Keulen werden gezückt und in emotional aufgepeitschten Debatten wird die Verständigung schnell unmöglich.

Menschen jüdischen Glaubens sind im Jahr 2023 in Deutschland nicht mehr sicher, das ist beschämend und macht mich sehr traurig. Die Geschichte dieser Menschen ist geprägt von den ausnahmslosen, unvergleichbaren und entsetzlichen Verbrechen, die eine deutsche Mehrheitsgesellschaft in der Zeit des Nationalsozialismus verübt hat. Das kollektive Trauma der Shoah dauert über Generationen an, die Wissenschaft spricht von drei bis vier Generationen, in denen traumatisch erlebtes nachwirkt. Der brutale Überfall der Hamas auf Israel hat Narben aufgerissen, nicht umsonst zieht man dort den Vergleich zu 9/11.

Dies ist auch ein Versagen der Staatengemeinschaft, die dabei zugesehen hat, wie die Eskalation ihren Lauf nahm. Die Konfliktparteien wurden nach der Intifada 1987 und den Osloer Vereinbarungen 1993 allein gelassen. Andere Akteure haben Öl ins Feuer gegossen, wie der Iranische Staat oder ein Präsident Donald Trump.

Ich bin keine Diplomatin und begleite kein hohes Amt, deshalb erlaube ich mir an der Stelle festzustellen, dass die rechtsnationale ultraorthodoxe Regierung Israels mit dem Festhalten an ihrer Siedlungspolitik und der Ablehnung der Zweitstaatenlösung keine friedliche Lösung herbeiführen konnte. Viele Israeli sind in den letzten Monaten auf die Straße gegangen, um ihre die Demokratie zu bewahren und die Regierung von ihrem Kurs abzubringen. Ihnen wird nun der Boden unter den Füßen weggezogen. Auch das ist ein besorgniserregender Aspekt dieser Tage.

Meine Damen und Herren, die Leidtragenden dieses neuen Krieges sind die Zivilisten. Menschen in Israel und Gaza, die einfach nur in Frieden mit ihren Familien leben wollen. Sie geben keine Truppenbefehle, sie sind unbewaffnet. Dies gilt für alle Kriegsregionen der Welt: ob im Jemen, Nordsyrien, im Sudan oder der Ukraine und bestimmt habe ich welche vergessen. Viele sind zu uns nach Deutschland geflüchtet, viele sind traumatisiert. Sie sorgen sich um ihre Freunde und Familien in den Kriegsgebieten oder müssen von den Getöteten aus der Distanz Abschied nehmen. Auch Geflüchtete aus Gaza können von vielen Jahrzehnten andauernder Gewalterfahrung, Entrechtung und dem Leben in einer Zweiklassengesellschaft berichten, auch sie sind nun retraumatisiert.

Wir, die wir nicht unmittelbar betroffen sind, haben jetzt die Verantwortung den gesellschaftlichen Frieden zu bewahren. Für uns ist es angesagt, die Faust zu öffnen - nicht um mit dem Finger auf vermeintlich Schuldige zu zeigen, sondern die Hand zu öffnen, als einladende Geste für Verständigung. Wir müssen die Keule weglegen, die Schubladen schließen und zuhören. Alle Teile unserer Gesellschaft sind gefordert. Wir müssen Räume schaffen, in denen Gespräche möglich sind.

Wir müssen dies tun, damit Menschen jüdischen Glaubens sich irgendwann unter uns wieder sicher fühlen können.

Gesine Frank
Fraktion DIE LINKE
Minden, 26.10.2023